Sendestart für Leibniz fm in Hannover
Seit dem 15. August 2025 ist der jüngste niedersächsischen Bürger*innen-Sender on Air
In der Königsworther Straße in Hannover wurde am 15. August ein rauschendes Hoffest gefeiert. Gleichzeitig ging der neue Bürger*innen-Sender Leibniz fm auf Sendung. Ein schöner aber auch anstrengender Tag für den Geschäftsführer Robin Shakibaie, der gleichzeitig Eventmanager und Radiomacher sein musste. Party und Sendestart verliefen erfolgreich, der Zuspruch der Hörer*innen ist groß. Auch wenn es vier Jahre gedauert hat, bis Leibniz fm auf Sendung gehen konnte.
Was ist in den Jahren in der Vorbereitung passiert und wie entwickelt man einen neuen Radiosender?
Robin Shakibaie: 2021 hat sich ein Trägerverein gegründet, der den neuen Sender aufbauen wollte. Hierfür bedurfte es jedoch einer Änderung des Landesmediengesetzes, denn nach dem Ende des Bürger*innen-Senders Radio Leinehertz, unserem Lizenzvorgänger, wurde von der Versammlung der NLM die Region Hannover zunächst als Verbreitungsgebiet gestrichen. Durch die Gesetzesänderung wurde die NLM finanziell so ausgestattet, dass sie ein neues Bürger*innen-Radio fördern und zugleich ihr im Lauf der Jahre aus dem Medienstaatsvertrag zugewachsene neue Aufgaben erledigen konnte. Als die Sendelizenz ausgeschrieben wurde, musste der Trägerverein nachweisen, dass in der Region Hannover Interesse an einem neuen Bürger*innen-Sender besteht.
Oberbürgermeister Belit Onay und Regionspräsident Steffen Krach haben sich für uns eingesetzt. Außerdem haben wir von vielen Institutionen in Hannover Letters of Intent bekommen, in denen sie ihr Interesse an einem neuen Bürgerradio und einer Zusammenarbeit bekundet haben. Viele sind Mitglieder unseres Trägervereins geworden. Es bedurfte insbesondere auch Zusagen für finanzielle Zuwendungen: Es unterstützen uns Stadt und Region sowie die Sparkasse Hannover, die Klosterkammer ist mit einer Projektförderung dabei. Und wir konnten Sachspenden akquirieren, vor allem von Alcatel-Lucent, die uns in erheblichem Umfang mit Netzwerktechnik und Telefonie ausgestattet haben.
Auf dieser Basis gewährt die NLM eine laufende alljährliche Zuwendung, die den größten Teil unserer Kosten abdeckt.
Im Februar 2025 erfolgte dann die Lizenzvergabe, und das Team, das der geschäftsführende Vorstand rekrutiert hatte, konnte loslegen. Es wurde eine wunderbar gelegene Liegenschaft angemietet, wir sind in der Königsworther Straße in einer ehemaligen Kunstgalerie.
Warum habt ihr einen Bürger*innen- Radio in Zeiten von Social Media und Podcasts gegründet?
RS.: Wir sehen, dass Audioformate seit einigen Jahren Oberwasser haben im Medienbetrieb, so viele Leute hören Podcasts oder machen welche. Gleichzeitig nehmen wir wahr, dass immer mehr Menschen sich vom Formatradio abwenden und über die immer gleiche Musik, die aufgesetzt gute Laune und die nervige Werbung klagen.
Wir treten an mit Werbefreiheit, mit hochwertigen Inhalten abseits des Mainstreams und mit authentischen und unabhängigen Stimmen, die bei uns Radio machen. Wir sind Bürger*innen, Nachbar*innen, Freund*innen. Man weiß, wer die Menschen sind, die hier Radio machen, und man kann auch selber mitmachen.
Wir nutzen die sozialen Medien, wir sind auf TiKTok, Instagram, Facebook und LinkedIn präsent. Die Erfahrungen, die unsere Redaktion in den sozialen Medien macht, besprechen wir in einer eigenen medienpädagogischen Sendung, „Irgendwas mit Medien“.
Wir stellen fest, dass Menschen, die sich nur noch über die sozialen Medien informieren, in Echokammern landen, in denen die immer gleichen Inhalte aufploppen. Dagegen setzen wir Meinungsvielfalt und einen Ort für Debatten. Wir glauben an das Medium Radio, vor allen Dingen an das Konzept Bürger*innen-Radio.
Schafft ihr es, die eher jungen Menschen, die euch auf Instagram und TiKTok folgen, zum Einschalten und Hören des neuen Radiosenders zu bewegen?
RS.: Das hoffe ich doch. Wir bekommen Zusendungen auf unsere Accounts in den sozialen Medien, in denen sich die Leute, die uns hören, dabei fotografieren oder filmen und das posten. Wir nutzen die sozialen Medien um für unser Live-Programm und für unsere Mediathek zu werben. Und nicht zuletzt wollen wir Räume der Desinformation füllen mit faktenbasierten journalistischen Inhalten.
Werden wir mal an einen Punkt kommen, an dem wir uns von den sozialen Medien, die aus den USA und China stammen, zurückziehen? Und werden dann die Bürgermedien wieder eine wichtige Gegenöffentlichkeit?
RS.: Das kann gut sein. Ich glaube, dass uns die sozialen Medien mal sehr bereichert haben. Im Moment sehen wir aber, dass alles den Algorithmen unterworfen ist und daher Meinungsvielfalt viel weniger stattfindet.
Das erlebe ich auch im Bereich der Musik: Als Spotify neu war, war das erst mal grandios: Alles, was ich hören wollte, hatte ich immer parat in meiner Hosentasche. Wir merken aber im Austausch mit unserer Hörer*innenschaft, dass das auch an Grenzen stößt. Es gibt durchaus ein Bedürfnis nach kuratierten Inhalten und nach Musik, die einem empfohlen wird von Musikjournalist*innen.
Wir spielen bei uns im Sender Independent und ganz viel lokale Musik. Die Band aus dem Kiez hat nicht die Mittel sich in die Streaming-Playlisten einzukaufen. Aber es gibt diese vielfältige Musik aus der Nachbarschaft, und bei uns kann man sie hören.
Wie ist die Personal-und Sendestruktur bei Leibniz fm?
RS.: Es gibt einen ehrenamtlich tätigen Trägerverein mit aktuell ca. 220 Mitgliedern, dessen geschäftsführender Vorstand Personal für den Sendebetrieb angestellt hat. Wir sind derzeit acht durch den Verein festangestellte Mitarbeiter*innen.
Wir haben Sendungen, die wir als hauptamtliche Redaktion gestalten, aber auch offene Sendeplätze, auf denen Interessent*innen Radio machen können. Viele Mitglieder des Vereins nutzen z.B. die offenen Sendeplätze. Zu unserer ersten Redaktionskonferenz sind mehr als 30 Personen erschienen, die Lust haben, sich mit ihren Themen einzubringen. Bei den ehrenamtlichen Radiomacher*innen haben wir ein breites Altersspektrum, was uns sehr freut, wir haben hier Schüler*innen, Studierende, Berufstätige, Erwerbslose und Rentner*innen.
Unser Eigenprogramm läuft zwischen 6 und 18 Uhr. Wir haben drei tägliche Sendungen, den Frühfunk, dann ein Vormittagsprogramm mit Themen aus dem Umland und schließlich ein Nachmittagsprogramm mit viel Musik und bunteren Themen, das den Feierabend einläutet.
Mittags machen wir Sendungen in Kooperation mit Institutionen der Stadtgesellschaft. Es gibt z.B. eine Sendung mit dem Asphalt-Magazin, der hannoverschen Obdachlosenzeitung.
Wir laden Clubs ein, arbeiten mit dem Schulinternet- Radio zusammen, die bei uns Sendungen gestalten. So haben wir ein vielfältiges und buntes Eigenprogramm. Noch bunter wird es dann ab 18 Uhr, wenn unsere offenen Sendeplätze an den Start gehen. Da gibt es verschiedene Musiksendungen zu vielfältigen Genres. Wir haben Menschen, die ihre eigene Plattensammlung bei uns auflegen oder uns in Wortprogrammen die Themen näherbringen, die sie im Leben bewegen.
Ein wichtiger Bestandteil der Bürger*innen-Medien ist die Vermittlung von Medienkompetenz. Was bietet ihr in dem Bereich an?
RS.: Wir haben zwei Medienpädagoginnen im Haus. Sie betreuen u. a. das Projekt einer digitalen Geschichtswerkstatt und wollen jungen Menschen einerseits Medienkompetenz durch das Radiomachen und andererseits Lokalgeschichte vermitteln: Was ist die Geschichte hinter den Namen, die auf sogenannten Stolpersteinen verzeichnet sind? Was ist erhaltenswürdig, was ist die Kulturgeschichte von Baudenkmälern? Welche Fluchtbiographien bringen Schüler*innen mit? Die Beiträge darüber werden archiviert, wir möchten hier ein Audio-Archiv der Geschichte der Region schaffen.
Wir bieten aber auch Schulungen zum Erstellen von Radio- Beiträgen an: Wie finde ich ein Thema? Wie baue ich einen Beitrag? Wie führe ich ein Interview? Die Basics im Radiobetrieb kann man bei uns lernen. Das kostet nichts für die Menschen, die das gerne machen möchten. Wir ermöglichen Medienkompetenz durch Teilhabe. Das ist für uns auch ein Projekt der Demokratieförderung.
Wer ist eure Zielgruppe?
RS.: Wir richten unsere Angebote an alle Menschen, die in der Region Hannover zuhause sind. In der Musik die wir spielen, Indie-Pop und Alternative, sehen wir ein verbindendes und generationenübergreifendes Element. Leibniz.fm ist nicht nur ein Sender für junge, sondern gleichermaßen auch für junggebliebene Menschen.
Auf eurer Homepage steht, dass ihr euch als Multiplikatoren für die Kulturszene versteht. Das klingt nach einer definierten Zielgruppe und nach einer definierten Gruppe von Menschen, die das Programm machen. Bin ich bei euch auch richtig, wenn ich nicht ins Theater oder in den Club gehe, dafür aber zum Fußball oder Handball?
RS.: Wir sind kein Kultursender. Wir haben ein Vollprogramm, wir berichten über alles und wir haben auch Sportsendungen. Wir sind Multiplikator*innen für diverse Szenen, wir sind offen für Menschen, die sich für das interessieren, was um sie herum los ist. Wir lieben Kultur, aber ebenso lieben wir auch Amateursport, und ebenso berichten wir über lokale Wirtschaft und Startups. Es gibt genug Bundesliga-Highlights. Was fehlt, ist eine Berichterstattung über den Lokalsport, den es in der Region gibt. Wir haben hier einen Wasserballverein, Waspo 98, der Champions-League spielt, aber viel zu wenig Beachtung findet. Aktiv und bewusst berichten wir über Randsportarten und Breitensport. Wir sind ein Sender für die vielfältige Nische, kein Spartensender.
Wie kam es zum Namen? Warum habt ihr euch nach Gottfried Wilhelm Leibniz benannt, dem Universalgelehrten und Philosophen aus dem 17. und frühen 18. Jahrhundert?
RS.: Gottfried Wilhelm Leibniz ist unser Held. Er ist einer der letzten Universalgelehrten gewesen. Wir machen Vollprogramm, wir interessieren uns für ein breites Spektrum an Themen, genau wie Leibniz.
Leibniz war ein Netzwerker, er ist bekannt für seine Briefwechsel mit Menschen im In-und Ausland. Drucke dieser Briefe hängen bei uns in den Fluren, das war ein großartiges Geschenk der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek. Außerdem war er Wegbereiter der modernen Informationstechnologie. Er war Wissenschaftler, und auch wir bekennen uns zu Wahrheit und zu Fakten. Nicht zuletzt ist Hannover für uns DIE Leibniz-Stadt, das kommt in der überregionalen Wahrnehmung bisher noch zu kurz, obwohl es doch das verbindende Element ist zwischen den Herrenhäuser Gärten, den Welfen, den Keksen, zahlreichen Bildungseinrichtungen – und unserem Radio.
Hier geht es zur Webseite des Senders.
Das Interview führte Cornelia Köhler für den RUNDBRIEF 151, Oktober 2025
Robin Shakibaie, Michel Golibrzuch (Leibniz.fm-Vorstand), Prof. Christian Krebs (NLM-Direktor), Lea Karrasch (Leibniz.fm-Vorstand), Jonathan Haase (Leibniz.fm-Vorstand), Lothar Schlieckau (Leibniz.fm-Vorstand), Belit Onay (Oberbürgermeister Hannover). <br> Foto: © Robert Litz
Team Leibniz fm. Hinten von li nach re: Olivia Wilke, Malte Busch, Anna Brucks, Anne Bartels, Mareike Röhricht, vorne von li nach re: Claudia Tadje, Robin Shakibaie. Foto: © Robert Litz